Stable URL(for citation): http://www.eth.mpg.de/subsites/schlee_tagebuch/trip_02/f4/2001_11_16_fri.html

>Max Planck Institute for Social Anthropology
Max Planck Institute for Social Anthropology

Günther Schlee 2008

Impressum
Datenschutzhinweis

Am Morgen gehen wir wieder zu Shanduk. Er hat eine Ziege geschlachtet und inszeniert für uns, wie und unter welchen Anrufungen er das getan hat. Viele Maiskörner sind auf dem Boden verstreut. Er scheint sein Gehöft mit Opfergaben gesegnet zu haben. Um den Pflock, an dem die Ziege angebunden war, ist roter Sorghum verstreut.

Christiane setzt ihre Befragungen fort. Ich nehme das Gespräch mit dem Videorekorder auf. Nach einer Weile habe ich jedoch vom Herumhocken in der engen, stickigen Hütte genug, übergebe das Gerät Getinet und lege mich draußen unter einen Schattenbaum. Dorthin wird uns zu Mittag auch Fleisch von der Ziege gebracht. Danach möchte ich mich verabschieden. Shanduk besteht darauf, dass noch mehr Essen komme, und  er mit mir etwas zu besprechen habe. Schon vorher hatte ich ihm auf eine entsprechende Frage erklärt, ich hätte kein spezielles Anliegen. Ich sei gesund und meine Kinder, Gott sei Dank, auch. Ich würde ihm danken, dass er meinen Studenten, Dereje und Christiane, so viel Auskunft gegeben habe. Wir könnten einander segnen. Das wäre von meiner Seite alles. Jetzt vertröste ich ihn damit, dass er sicher genug Esser für das Essen finden würde. Ich müsse zurück nach Gambella. Schließlich lasse ich mir noch ein Stündchen abhandeln.

Shanduk befragt mich zu den Ursprüngen des Wissens. Darauf scheint er zumindest hinauszuwollen. Kweth übersetzt mit "education", was wohl das moderne, in formalen Institutionen übermittelte Wissen sein soll. Ich erzähle etwas vom Ursprung der Schrift. Das bewegt Shanduk zu der Frage, ob es wohl Menschen auf der Welt gebe, die mehr wüssten als ich, was ich natürlich bejahe.  

Von Shanduks Vater sagen viele, Shanduk selber eingeschlossen, er sei im Gegensatz zu ihm ein wirklicher Prophet gewesen. NgunDeng und er haben vorausgesagt, bei den Murle würde eine Seuche ausbrechen. Danach würden sie nicht mehr in der Lage sein, sich gegen die Nuer zur Wehr zu setzen und diese würden ihnen ihr Vieh rauben. Shanduk sagt, er wolle noch dieses und das nächste Jahr abwarten, ob sich diese Prophezeiung erfüllt. Wenn nicht, wolle er seinen Hügel flach machen und alle seine Ritualgegenstände aufgeben und auf eine andere Weise nach Wissen suchen. Ich bestätige ihn darin, dass Versuch und Irrtum für den Erwerb von Wissen ganz wichtig seien und dass es gut sei, etwas auszuprobieren und dann wieder bleiben zu lassen.

Er fragt mich, ob ich jemanden kenne, der die Zukunft voraussagen könne oder ob ich selber ihm möglicherweise ein Geheimnis, das zur Prophetie ermächtigt, verkaufen könne. Ich sage ihm, dass ich nur den schwierigen Weg zum Wissen kenne, der über viele Jahre Schulbesuch führt. Auch sei das Wissen so umfangreich geworden, dass kein Einzelner es mehr überblicken könne. Was Vorhersagen anbelangt, so könne man aus der genauen Beobachtung der Dinge und ihrer Wirkungsweisen auf ihr zukünftiges Verhalten schließen, das aber nur in sehr geringem Maße.

Shanduk sagt, dass vieles Übel in der Welt gar nicht direkt auf den Fluch von Göttern zurückzuführen sei, sondern auf Regierungen. Unter Regierungen versteht er, aus südsudanesischer Perspektive vollkommen korrekt, Gruppen bewaffneter Männer, die Andere zu etwas zwingen wollten. Ich bestätige ihm, dass der Schlüssel zu Verbesserungen in der Weise liege, wie wir uns selber organisieren. Wenn Gott will, kann er uns ja dabei segnen.

Christiane bleibt in Kurgeng. Mit Getinet, Tuut und Eshetu fahre ich zurück nach Gambella.