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Max Planck Institute for Social Anthropology

Günther Schlee 2008

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Im Lager in der Lehmhütte von Christiane untergekommen, die sich im Gehöft ihres Nuer-Assistenten Kweth befindet.

Am Morgen BBC, "Focus on Africa", gehört: Drei Geldtransfer-Büros, namens Al-ʿAmal, Barakaat und Dabshil, die von Somali in Addis Abeba genutzt wurden, sind von der Polizei geschlossen worden. Die Somali sind sehr erregt, weil sie von Geldüberweisungen durch Verwandte aus dem Ausland abgeschnitten sind. Die offizielle Begründung ist, man wolle Transfers von und an Usama bin Laden unterbinden.

In Kenya, wohl vor allem in Mombasa, seien 50 muslimische "boys" unter Arrest. Jeder Muslim, der in Kenya Überweisungen aus dem Mittleren Osten erhalte, werde dort verdächtigt.

Fertigung von Trommeln für die NgunDeng-Gemeinde. Der Anführer der NgunDeng-Gemeinde hier im Lager hat 600 US-Dollar zweckentfremdet, die in Amerika gesammelt worden waren. Hiervon war ein Teil für den Erwerb einer Kuh gedacht, aus deren Haut Trommelfelle geschnitten werden sollten. Christiane ist jetzt in die Bresche gesprungen und hat 400 Birr zum Kauf einer Kuh zur Verfügung gestellt.

Die Gemeinde hat sich unter einem Schattenbaum versammelt, wo auch die Kuh, eine kleine, graue Färse, angepflockt ist. Auch zwei Plakate, die Erd-Pyramiden des Nuer-Propheten NgunDeng darstellen, sind aufgehängt. Das eine Plakat gibt das Jahr 1902 an. Die Abbildungen stammen, so erklärt Christiane, aus den heiligen Büchern der NgunDeng-Kirche, nämlich Nuer Religion von Evans-Pritchard (letzte Ausgabe, 1985) und Nuer Prophets von Douglas Johnson (1997). Um Christiane mehr Zeit für Gespräche und Mitschriften zu lassen, übernehme ich große Teile des Filmens der Tänze, Gesänge und Predigten, die jetzt erfolgen. Helfer von Christiane machen zusätzliche Ton-Aufzeichnungen. Am späten Vormittag soll die Färse gespeert werden. Ein alter Mann stößt zu, der Speer prallt ab, wohl von einer Rippe. Ein Anderer versucht es mit gleichem Ergebnis. Dann heißt es, der Speer sei nicht scharf genug. Nach untauglichen Versuchen vonseiten der Nuer, den Speer zu schärfen, holt Eshetu, unser Fahrer, seine Feile aus dem Auto und übernimmt das Schärfen. Dann wird die Kuh endlich gespeert. Nur ein kleiner Einstich ist erkennbar, die Kuh bleibt stehen, aber Blut tritt aus ihrem Maul. Christiane meint später, die Kuh sei "mitten ins Herz" getroffen worden, wohl weil in Büchern zu lesen ist, dass die Nuer das idealerweise so machen. Das Sterben der Kuh beweist aber, dass das nicht so ist. Sie verliert bei jedem Ausatmen Blut aus dem Maul, ist also offenbar an der Lunge getroffen und blutet aus einer Bronchie. Sie bleibt lange stehen, sackt dann zusammen, richtet sich aber noch einmal auf. Ich kann mir Schöneres vorstellen, als Christianes Kuh zu sein. Als sie schließlich endgültig fällt, fällt sie falsch: nicht in Richtung Sudan, wohin sich doch die Hoffnung der Rückkehr richtet.

Das Ganze schlägt uns etwas auf dem Appetit, als wir beim Mittagessen der Färse im Stew ein zweites Mal begegnen. Ich spiele mit dem Gedanken, mit Hinweis auf meine muslimische Identität das Mahl dankend abzuweisen, denn wenn es eine Art zu schlachten gibt, die mit islamischen Vorstellungen in keiner Weise mehr vereinbar ist, dann wohl diese. Durch einen solchen Hinweis aber könnte ich wohl gerade hier eher als irgendwo sonst auf der Welt Christiane und mir Probleme bereiten.

Ein Mann, der neben den sechs quer verlaufenden Narben auf der Stirn, gaar, zahlreiche punktförmige Ziernarben im Gesicht aufweist, spricht Arabisch mit mir. Er war in Khartoum in einer pharmazeutischen Firma tätig (Shifa?). Er kennt auch Wad Medani, Kassala und Gedaref, wo diese Firma Filialen aufweist. Ich frage ihn, warum er eine Anstellung in offenbar leitender Funktion aufgegeben hat, um hier Flüchtling in einem Lager zu sein. Die Antwort lautet, von Khartoum aus hätte er keine Chance gehabt, in die USA zu kommen. Hier dagegen gebe es ein "resettlement scheme".

Auf der Rückfahrt nach Gambella machen wir in Abobo kurz Pause. Christiane braucht unbedingt ein Bier, "um den Geschmack von der Kuh loszuwerden". 

Zurück in Gambella erfährt Christiane, wie es Julia, der jungen Anywaa-Frau zwischenzeitlich in Addis Abeba ergangen ist. Sie sei dort von einem offenbar angetrunkenen älteren Hochländer als baarya beschimpft worden, was wohl soviel wie 'Sklave/Sklavin' bedeutet. Auch weitere Beschimpfungen seien erfolgt. Darauf habe sie dem Mann auf die Nase geschlagen. Schließlich sei sie selbst aber mit dem Anywaa-Mädchen in ihrer Begleitung überwältigt und zur Polizei gebracht worden. Eine Nacht hätten die beiden im Freien im Gefängnis verbracht, dann habe Julia 600 Birr bezahlt, und die beiden seien freigekommen. Man hatte ihnen gedroht, sie einfach für einen Monat da zu behalten. Bei dem Geld habe es sich nicht etwa um eine Kaution gehandelt, sondern um ein Bestechungsgeld. Ein Beleg existiert nicht. Julia vermutet, ihr angebliches Opfer, das behauptet, seine Nase sei gebrochen, und die Polizisten hätten das Geld unter sich aufgeteilt. Sie kriegte einen Gerichtstermin für den heutigen Tag, zu dem sie jedoch nicht zu erscheinen gedenkt. Sie glaubt, der Hochländer würde auch nicht erscheinen, weil der ja gekriegt habe, was er wolle, so dass das Verfahren dann wohl ein Ende finden würde.

Nach Gesprächseindrücken von Christiane sind die Meinungen zu diesem Fall in Gambella geteilt. Die Hochländer sagen, Julia solle vor Gericht erscheinen und auf ihrem Recht bestehen, denn in Äthiopien würden beleidigte Frauen Recht bekommen, und zwar in Addis leichter als in Gambella, weil in der Frontsituation in Gambella die Hochländer empfindlicher reagieren. (Ob selbst unter dieser Annahme mehr dabei herauskommen könnte als ein Freispruch, ist natürlich fraglich, denn die 600 Birr sind ohne Beleg weg. Und ohne diese Zahlung wären die beiden Frauen einen Monat im Gefängnis geblieben und hätten sich Erkältungen oder Schlimmeres zugezogen, ohne überhaupt einen Gerichtstermin und damit eine Gelegenheit zur Rechtfertigung zu kriegen.)

Die Niloten dagegen sagen, Julia sei mit 600 Birr günstig aus der Sache herausgekommen. Vor einem Gericht aus Hochländern hätte sie nie Recht bekommen, sondern wäre in eine nicht endende Kostenspirale geraten. Ein Unterton der Heroisierung ist auch zu vernehmen. Dass eine "Schwarze" einem Hochländer die Nase gebrochen habe, bereitet ein Stück Befriedigung.