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>Max Planck Institute for Social Anthropology
Max Planck Institute for Social Anthropology

Günther Schlee 2008

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Nach der ASA-Konferenz in Arusha (Tanzania) vorgestern mit Andrea und dem Hor/Arbore-Forscher Tadesse nach Addis geflogen. Gestern Getinet getroffen, der von der deutschen Botschaft erfahren hat, dass sein Stipendienantrag beim DAAD Erfolg gehabt hat, und der demnächst mit der offiziellen Zusage rechnet. Er schreibt den Erfolg meiner Befürwortung und Betreuungszusage zu. Wegen zahlreicher kritischer Fragen von Oromo-Professoren in der Auswahlkommission, die meinten, er als Oromo solle doch lieber eine Arbeit über die Oromo schreiben, hatte er an dem Erfolg gezweifelt. Er möchte sein Stipendium im Herbst antreten. Ich rate ihm, auf einem Deutschkurs an einem Goethe-Institut in voller Länge zu bestehen, wenn dies nicht auf Kosten der Laufzeit seines Stipendiums geht. Als nächstes möchte er sein Projekt revidieren, um es besser in das Forschungsumfeld unseres Instituts einzupassen. Er will nicht nur Institutionen der Gurage untersuchen, sondern eine Oromo-Komponente zum Vergleich einfügen. Ich rate ihm, nicht nur auf die vertrauensstiftende Funktion von Institutionen zu achten, sondern auch auf ihre ausschließende Wirkung, um die Thematik näher an die von Identität und Differenz zu bringen (siehe inzwischen Getinet 2005).

Getinet hat jetzt einen alten, knallgrünen VW-Käfer, der mich sehr an meine Kindheit erinnert. In Deutschland wäre ein solches Auto, noch ohne Sicherheitsgurte, also mindestens 30 Jahre alt, und blitzsauber und gepflegt, wohl ein Sammlerstück. Er bringt mich zu dem Internet-Café an der Bole Street, in dem ich schon mal mit Dereje war. Ich denke zumindest, es ist dasselbe. Was mir in Arusha nicht gelungen ist, geling hier: Ich wähle mich ins Internet und dann in mein E-Mail-Konto am Institut ein. Die Leitung ist jedoch schaurig langsam, und ich kann nicht alle eingegangene Post öffnen. Eine Überarbeitung eines Manuskripts von einem der Westafrika-Forscher an unserem Institut und eine Datei mit Briefen als 'attachment' an meine Sekretärin geschickt. Insgesamt brauche ich für drei E-Mails über eine Stunde. Die meiste Zeit starre ich auf die Sanduhr auf dem Bildschirm. Danach Getinet zum Essen eingeladen.

Getinet gibt mir Kopien aus einem UN-Informationsdienst für Mitarbeiter, aus dem hervorgeht, dass es in Wollega Militäreinsätze gegen die OLF gegeben hat. Am 10. April hat es eine große Explosion in Mendi gegeben, wo die OLF versucht haben soll, die Telekom in die Luft zu jagen. Ein Soldat wurde getötet, zahlreiche OLF-Kämpfer gefangengenommen und im Fernsehen (ETV: Ethiopian Television) interviewt. Das UN-Personal ist gehalten, die UN-Sicherheitstelle zu konsultieren, bevor Reisen westlich von Nek’emte unternommen werden.

In Gambella is Itang "Red-No-Go". Nach Getinet soll eine unionistische Bewegung, die in Gondar sehr stark ist, in Gambella unter einem Nuer-Anführer operieren. Das hätte Haile Selassie sich wohl nicht träumen lassen, dass einmal ein Nuer für die Einheit Äthiopiens und gegen den ethnischen Regionalismus kämpfen würde!

Die Nachrichten über die Sicherheitslage im Westen, die das, was ich von Dereje erfahren hatte, ergänzen, bestärken mich in der Absicht, diesmal nicht nach Gambella oder Dembi Dolo zu fliegen. Stattdessen werde ich mit Tadesse in den Süden fahren. Das Auto, das er auf Institutskosten erworben hat, braucht allerdings Diesel, und Diesel ist knapp. Nach dem UN-Info-Dienst streiken die Lastwagenfahrer auf der Strecke nach Djibouti, nachdem zwei Shell-Tankwagen letzte Woche angegriffen und die Fahrer getötet wurden.

Im Fernsehen erläutert Meles Zenawi das Ergebnis der Schlichtung der Grenz-Streitigkeit mit Eritrea durch eine Kommission, die der Internationale Gerichtshof in Den Haag eingesetzt hat. Es ist offenbar weitgehend zugunsten von Äthiopien ausgefallen. Man weiß aber nicht, wie Eritrea darauf reagieren wird.

Unruhen werden auch in der Somali-Region erwartet, nachdem fünf Itihad-Mitglieder am 11. April zum Tod durch den Strang verurteilt worden sind.

Heute morgen Tadesse im Institute of Ethiopian Studies getroffen. Wir erläutern Baye Yimam unsere Reisepläne. Er hat Brandnarben im Gesicht und am Arm. Er hat geholfen, ein Feuer in der Nachbarschaft seines Privathauses zu löschen, bevor dieses außer Kontrolle geriet. Er beklagt, im letzten Jahr habe er viel Pech gehabt, obwohl der Umstand, dass er sich gerade auf einer Konferenz in Mainz befand, als er unerträgliche Kopfschmerzen bekam, wohl eher eine glückliche Fügung war. Er meint, hier wäre er an dem Blutgerinnsel im Gehirn gestorben oder wäre gelähmt geblieben, in Mainz aber ist er mit Erfolg operiert worden. Er war Monate zuvor in seinem Badezimmer gestürzt. Der Kollege Ivo Strecker, der die oben genannte Konferenz initiiert hat, sei jetzt in Jinka.

Neben dem kaiserlichen Palast, in dem das Institute of Ethiopian Studies untergebracht ist, soll mit ähnlicher Silhouette in moderner Abwandlung ein Gebäude entstehen, in dem die Bibliothek untergebracht werden soll. Dann wird sich das aus allen Nähten quellende Museum im ganzen Palast ausbreiten können. Bei der elektronischen Erfassung der Bestände und bei der Vernetzung der Bibliothek wäre Baye Unterstützung durch unser Institut hochwillkommen.

Mit Taddesse Berisso Kaffee getrunken. Die Regierung soll eine Konferenz mit internationalen Wissenschaftlern und lokalen Ältesten veranstaltet haben, bei der das Ergebnis jedoch von vornherein feststand. Es ist die Empfehlung der Sedentarisierung der Nomaden. Wir sind uns natürlich über die desaströsen Folgen, die eine solche Maßnahme haben würde, einig. Es geht offenbar darum, allen nomadischen Haushalten ein kleines Stück landwirtschaftlicher Fläche zuzusprechen und den Rest als veräußerliches Staatseigentum zu betrachten. Alamuudi soll große Ländereien erwerben.

Nach dem Kaffee sind unsere Begleitbriefe für die Fahrt nach Süden fertig und wir können gehen. Welch ein Kontrast zu früheren Zeiten! Vom Taxi aus sehen wir lange Schlangen von Dieselfahrzeugen an einer Tankstelle. Die Zeichen, Diesel zu bekommen und bald losfahren zu können, stehen nicht gut.

Die schnelle Erledigung unseres Anliegens an der Universität kommt mir sehr entgegen. So kann ich an den mitgebrachten Manuskripten weiterarbeiten.

Nach Dienstschluss kommt Getinet mit seinem grünen Käfer. Ich möchte mich der Dinge entledigen, die Christiane mir für die von ihr geförderten hiesigen Frauen mitgegeben hat. Wir fahren zu dem Restaurant von Haimanot oder Haimi in der Nähe des Bole-Flughafens. Dort werden wir einen alten Laptop los, den Haimi verkaufen soll, um damit die nächste Miete für ihr Restaurant zu bezahlen. Sie erklärt uns den Weg zu Serfei, einem früheren Dienstmädchen von Christiane und Dereje, für die ein halber Koffer voll original verpackter Nylonstrümpfe, vermutlich aus Restbeständen, bestimmt ist. (Wenn mich der Zoll gefragt hätte, für wen die sind, hätte ich einfach gesagt, ich hätte hier einen Harem.)

Serfei wohnt in einer Nissenhütte ohne Fenster, von denen mehrere auf einem kahlen Gelände herumstehen. Ich kenne solche Hütten nur als Lagerhäuser für Getreide. Es handelt sich um ehemalige Kasernen koreanischer Bauart, zuerst bewohnt von Russen und Kubanern, später von äthiopischen Soldaten. Jetzt sind hier die Restfamilien gefallener Helden aus dem äthiopisch-eriträischen Krieg 1999-2000 zusammengepfercht: zahlreiche junge Witwen mit kleinen Kindern. Sie kriegen irgendeine magere Rente. Ansonsten gibt es hier gar nichts, keinen Grashalm und kein Spielgerät.

Serfei ist nicht da und wir zögern, die Strümpfe ihrer Schwester zu überantworten. Serfei soll sie lieber bei Haimi abholen. Getinet meint außerdem, Haimi sei cleverer als Serfei und könnte ihr Tipps für den Verkauf der Strümpfe geben. Zum Abendessen in Haimis Restaurant kommt Tadesse, der Hor/Arbore-Forscher, hinzu. Er hat Papierkram mit seinem Auto erledigt und will sich morgen um Diesel kümmern.