Stable URL(for citation): http://www.eth.mpg.de/subsites/schlee_tagebuch/trip_02/f2/2001_10_30_thue.html

>Max Planck Institute for Social Anthropology
Max Planck Institute for Social Anthropology

Günther Schlee 2008

Impressum
Datenschutzhinweis

Gestern mit Andrea, der kleinen Anne, Christiane, Getinet und unserem Fahrer Eshetu an den Langano-See weitergefahren. Am Nachmittag mit Getinet vom Hotel aus einen Spaziergang am See entlang nach Norden, die Abbruchkante hoch, und oben im Bogen zurück zum Hotel.

Die Gegend ist von Arsi bewohnt. Es handelt sich um eine park-ähnliche Landschaft mit vielen Akazien. Wir treffen zwei Jungen, die gerade mit einer zweihändigen Säge eine Akazie ansägen. Getinet fragt sie sofort, wie sie dazu kämen und was ihre Namen, wer ihre Eltern seien. Sie nennen ihre Namen, oder irgendwelche Namen. Sie sind höflich, aber keinesfalls verängstigt. Sie erklären auf Getinets Fragen, um eine gängige Packung Holzkohle zusammenzukriegen, brauche man drei solche Bäume. Es handelte sich um eine halbhohe Akazie von ca. 20 cm Stammdurchmesser. Pro Baum sei der Erlös etwa 15 Birr. Die Regen seien knapp ausgefallen, die erwartete Ernte gering. Deswegen sei man auf die Köhlerei angewiesen, obwohl die Ältesten dagegen seien, die Polizei und die Forstbeamten die Köhlerei verfolgten und man 5-6 Jahre Gefängnis erhalten könne. Diese Zahl mag übertrieben gewesen sein, um unser Mitgefühl zu erregen. Auf meine Frage, wo die Kohle verkauft werde, verweisen die Jungen auf die Durchgangsstraße. An den Straßen sieht man keine Säcke voll Holzkohle mehr angeboten. Diese wird heimlich verkauft. Angeboten werde sie durch Handzeichen, die die Größe des Bündels andeuten, so hatte Christiane erzählt, oder, so sagt Eshetu, durch Aushang eines schwarzen Schuhs, dessen Farbe auf die Kohle verweist.

Bei den verstreuten Gehöften sehen wir auch Rinder, und die Gegend ist von breiten Triften durchzogen. Maisfelder sind weiter oberhalb, an der Straße. Hier, in der Nähe des Wassers, sind wahrscheinlich zu viele Rindertriften.

Die Sprache der Arsi ist für mich gut verständlich. Ich frage Getinet, woher eigentlich das Oromo stammt, das das Fernsehen und den Rundfunk dominiert, und das für mich, von der Intonation her, wie Amharisch klingt. Er sagt, in den Medien dominiere das Wollega-Oromo. Die Wollega-Oromo, die ich kenne, klingen aber nicht so. Vielleicht hat sich ja auch ein modernistischer Medienstil in der Sprache entwickelt, der das Amharische nachahmt.

Getinet ist fünf Jahre lang in Harrar gewesen. Als ganz junger Absolvent ist er, genau wie Dereje, an die Alemaya-Universität gekommen. Dereje war dort Lecturer, Getinet Administrator. Das war die Zeit, in der Dereje von aufgebrachten Oromo-Studenten einmal fast umgebracht wurde, weil er "Ethiopian History" lehrte, und dies nicht nur unter dem Gesichtpunkt amharischer Dominanz, sondern auch dem des panäthiopischen Einflusses anderer Akteure. Getinet berichtet, er habe dort ein Problem mit seiner Sprache gehabt, und bewusste Anstrengungen unternommen, um sich anzupassen und für die Harrar-Oromo verständlich zu sein. Zurück in Bedele, Illubabor, hat sich dann seine Mutter gewundert, wie sich seine Sprache verändert habe.

Der vor kurzem abgesetzte Präsident des Landes, der Oromo Nagasso Gidaada, hatte das wohl berechtigte Gefühl, dass die Boran seine Ansprachen nicht verstehen. Er ging dann dazu über, einen Dolmetscher einzusetzen, der sein Wollega-Oromo in das Boran-Oromo übersetzte. Getinet macht sich darüber etwas lustig und gibt folgendes Beispiel:
- Nagasso: Akam jirtuu?
- Dolmetscher: Nageeni badaada isan jed.
(Was natürlich nur unterschiedliche Grußformeln sind, so als würde man "Hallo" mit "Guten Tag" übersetzen.)

Da das Essen im Bekele Mola Hotel am Langano-See so langweilig ist, sind wir am Dienstag zum Essen nach Arsi Negele gefahren. Dort sind wir zufällig in einem Restaurant gelandet, das einem Kellner, namens Habte, aus dem Bekele Mola Hotel gehört, der Gurage ist. Das Restaurant heißt 'Kertina', was wohl mit derselben semitischen Wurzel zusammenhängt wie das arabische Wort khayr. Wir haben dort für einen Bruchteil des Preises, den wir im Bekele Mola bezahlt haben, um ein vielfaches besser gegessen. Abträgliche Äußerungen über das Essen, das er im Hauptberuf serviert, waren Habte jedoch nicht zu entlocken. Stolz zeigt er uns seinen Ziergarten und seine Küche.

Neben ihm arbeitet hier eine erwachsene Tochter, etwas mollig, von sympathischem Aussehen. Als erstes entschuldigt sich Habte in Gegenwart dieser Tochter dafür, dass diese ja leider nicht besonders schön sei. Wir geben ihm zu verstehen, sie sehe immerhin besser aus als er. Als sie dann irgendetwas falsch macht, kommt wieder ein Hinweis darauf, dass sie ja außerdem nicht gerade schön sei. Das ganze ist wohl halb im Scherz. Wenn die Tochter aber ein Ausbund an Schönheit gewesen wäre, wären solche Witze wohl nicht erfolgt.

Christiane hat öfters beobachtet, dass Äthiopier ganz unbefangen in Gegenwart ihrer Kinder diskutieren, was bei ihnen die Rangfolge der Schönheit und der Hässlichkeit ist. Ob die dann Komplexe kriegen oder nicht, ist Nebensache. Rangfolgen müssen nun einmal sein.