Da wir morgen nach Anfillo fahren wollen, wobei Amanuel uns begleiten will, ist er in Termin-Not, weil er heute in Abobo einen Auftrag hat, Schüler für ihre Abschlusszertifikate zu fotografieren. Wenn er erst morgen mit dem Bus von Abobo zurückkommt, so denken wir, verpasst er unsere Abreise nach Anfillo. Deswegen haben wir gestern abgemacht, dass wir heute einen Abstecher mit dem Auto nach Abobo machen werden, um ihn dort nach seiner Arbeit abzuholen. Er will uns Kontakt zu dem Schulleiter vermitteln, der Oromo ist, und sich nach anderen interessanten Gesprächskontakten für uns umhören.
Also fahren Getinet und ich heute mit Eshetu nach Abobo, immerhin 45 km von hier. Dort sagte man uns, Amanuel habe schon eine andere Mitfahrgelegenheit zurück nach Gambella genutzt.
Vorher suchen wir einige Restaurants ab, wo wir ihn beim Mittagessen wähnen. Wir selber haben bereits in Gambella gegessen. Schließlich setzen wir uns zu einer Gruppe von "civil servants", die im Gespräch untereinander zwischen Amharisch und Oromo hin und her wechseln. Bei denen bricht plötzlich große Heiterkeit aus. Der Grund ist eine Anywaa-Frau, so vermute ich, die auf einem Grundstück auf der anderen Straßenseite in einiger Entfernung ein Bad nimmt, indem sie sich mit Wasser aus einem Eimer übergießt. Nichts verbirgt ihre Nacktheit. Offenbar haben hier Betrachter und Betrachtete unterschiedliche Schamschwellen.
Am Stausee erlauben uns die Wächter des Sperrwerks, dieses zu filmen, obwohl Filmaufnahmen hier generell verboten sind.
Alamuudi wollte hier ca. 1994 in ein Bewässerungsprojekt investieren, gab diesen Plan aber wieder auf. Noch frühere Pläne, das Wasser für die Umsiedler zu nutzen, wurden offenbar durch die Massaker an Umsiedlern durch Einheimische von 1991 zunichte gemacht.
Auf der Rückfahrt nach Gambella nehmen wir einen Mann namens Uchan mit, der uns vor dem Abstecher zum See um einen Platz in unserem Auto gebeten hatte. Der erzählt uns, im Ort habe man während unserer Abwesenheit darüber spekuliert, ob ich ein neuer Investor sei. Die Hoffnungen heften sich offenbar an einen Helfer aus der Ferne.
Uchan, ein Anywaa aus Gambella, arbeitet als Fahrer für das Gesundheitsamt. Er sollte ein Auto in Abobo abliefern und muss jetzt ohne dieses zurück. Er spricht Oromo, da er ein Jahr in Dembi Dolo gelebt hat. Er ist für einen Fahrer eingesprungen, der wegen seiner Unterstützung für eine Oppositionspartei im Gefängnis sitzt.
Ich markiere mit GPS die Abzweigungen zu den Siedlungsgebieten für Umsiedler: Kambata, Area 8 und 9 (waypoint 027); Oromo Wollo, Area 7 (waypoint 028). Die Area 7 soll ca. 3 km westlich der Straße sein.
Tigre sollen in Area 13 leben. Das muss die Gegend sein, in der ich im Februar mit Dereje gewesen bin. Lokalität nicht markiert.
1991 soll es insbesondere zu Tötungen von Tigre-Umsiedlern gekommen sein. Die Mehrheit der Anywaa sympathisierte mit Mengistu. Dies ist also eine politisierte Sichtweise, die jenseits der Konkurrenz um Land andere Motive unterstellt.
Soldaten wollen mitgenommen werden. Getinet gibt mir den Rat, keine Soldaten mitzunehmen. Die Bevölkerung würde es nicht gerne sehen, wenn ich deren Bewegungen erleichtere. Uchan fügt hinzu, er habe mit dem Mitnehmen von Soldaten auch schlechte Erfahrungen gemacht. OLF-Kämpfer (OLF = Oromo Liberation Front) hätten sein Auto einmal beschossen, weil sie die Uniformen gesehen hätten.